#TeleMuseion #MuseionCalling: Interview mit Ugo La Pietra

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Ugo La Pietra, Ex-Voto, 2020 (Zeichnung, Mischtechnik auf Papier). Courtesy of the artist
26.03.2020

Die Balkone haben ihre Rolle gefunden. Eine fundamentale Rolle für das Überleben, wenn es darum geht, draußen zu sein, die Wohnung oder das Haus zu verlassen, um sich ein wenig (sehr wenig) wie ein Bewohner/eine Bewohnerin des öffentlichen Raums zu fühlen.
Ugo La Pietra

Die zweite Folge von #MuseionCalling bringt einen nachdenklichen Beitrag des Künstlers Ugo La Pietra über die Situation, in der wir jetzt alle leben. Der Text heißt „Der Balkon“ („Il balcone“) und wird von der Zeichnung „Ex-Voto“ begleitet. Der für diese Zeit von Ugo La Pietra empfohlene Autor ist Ennio Flaiano.

In seinen Arbeiten setzt sich La Pietra (1938, Bussi sul Tirino, Pescara, lebt und arbeitet in Mailand) mitunter ironisch mit der Beziehung zwischen dem Individuum und dem öffentlichen Raum sowie mit dessen Dynamik und Struktur auseinander. Eine seiner Arbeiten ist in der Ausstellung „Intermedia. Archivio di Nuova Scrittura” zu sehen.

#MuseionCalling ist eine Reihe mit Kurzinterviews und Kurzbeiträgen von Künstlerinnen und Künstlern, die – wie ihr alle! – zum Umfeld des Museion gehören.

 

Ugo La Pietra, Der Balkon

Seit langer Zeit haben die Leute die Gewohnheit aufgegeben, zu Hause zu bleiben. Sie hielten sich immer häufiger in der Stadt auf. Die beste Art, mit anderen zusammen zu sein und sich der häuslichen Einsamkeit zu entziehen, hängt nun von digitalen und telematischen Instrumenten ab.

Seit mehr als 20 Jahren hat vor allem die neue Generation das Interesse am Einrichten verloren - Innenarchitektur ist zu einem Fach von Gestern geworden, das in den Fakultäten für Architektur von Meistern wie Gio Ponti, Vittoriano Viganò oder Carlo De Carli gepflegt wird. Die bedauernswerten Möbelproduzenten werden nicht mehr dazu angehalten, Objekte für den häuslichen Gebrauch zu produzieren.

Mit einer von vielen unerwarteten Gewalt hat uns das Virus aus China erreicht und alle mussten sich in die Wohnung oder in das eigene Haus zurückziehen – alle, auch die Jungen, die viele Stunden in der Stadt verbrachten, auch die Schülerinnen und Schüler, die am frühen Morgen auf dem Schulweg die Straßen füllten, auch die Hausfrauen, die mit einer gewissen Aufgeregtheit Supermärkte mit einem üppigen Warenangebot bevölkerten.

Alle sind zu Hause, um eine Infizierung zu vermeiden!

Die Wohnungen zeigen damit eine Belegung auf, die man schon aus dem Gedächtnis verloren hatte, jede und jeder versucht tägliche Beziehungen zu Räumen und Objekten aufzubauen.

Zu Hause sein, und versuchen irgend etwas zu tun: lesen, kochen, im Internet surfen, oder schlafen – Tätigkeiten, die immer schwieriger werden, wenn sie von TV-Nachrichten über Kranke und Tote begleitet werden, in Italien und in der Welt, die uns in tagtäglicher Angst festhalten.

Man muss zu Hause bleiben – das ist das einzige Mittel, um das Virus zu besiegen und da heißt, daß man nicht nach draußen darf.

Nach einer gewissen Zeit wird der Gedanke daran zur Obsession. Und wie viele Gefangene sucht man nach einem Ausweg wie das Fenster oder – vor allem – den Balkon.

Der Balkon, dieser in den urbanen Raum geworfene Ort, der sich in den vergangenen Jahrzehnten mit Schränkchen für Wischlappen und Besen, mit Müllkübeln oder mit Klimaanlagen gefüllt hat.

Die Balkone haben ihre Rolle gefunden. Eine fundamentale Rolle für das Überleben, wenn es darum geht, draußen zu sein, die Wohnung oder das Haus zu verlassen, um sich ein wenig (sehr wenig) wie ein Bewohner/eine Bewohnerin des öffentlichen Raums zu fühlen.

Der Balkon als Wohn-Instrument, das er in meinen Arbeiten aus den 1970er Jahren darstellen konnte, durchbricht die Schranken zwischen Innen und Außen und ist heute zum geeignetsten Wohnraum geworden, um die erzwungene häusliche Klaustrophobie zu überwinden.

Die Stiftung MUSEION. Museum für modern und zeitgenössische Kunst sucht ein*e Mitarbeiter*in für die Aufsicht mit Vermittlungsaufgaben

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